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28 Jahre Deutsche Einheit:

Eine ganz persönliche Bilanz

Donnerstag, 04. Oktober 2018, 16:04 Uhr
Es wurden nach der Wende blühende Landschaften versprochen und die große Mehrheit der Menschen hat daran geglaubt. Sie haben es geglaubt, weil sie uneingeschränktes Vertrauen hatten in die politische Führung der Bundesrepublik Deutschland. Wurde dieses Vertrauen gerechtfertigt, fragt ein Leser der Nordthüringer Online-Zeitungen...


Nur insofern, als dass diese Regierung zusammen mit den Siegermächten die politischen Rahmenbedingungen schuf, die Wiedervereinigung Deutschlands in kürzester Zeit zu ermöglichen. Was passierte dann aber?

Mit der Treuhand wurde ein Instrument geschaffen, dass den gesamten Osten Deutschlands als Wirtschaftssystem in kürzester Zeit zerschlug. Die großen Filetstücke wie z.B. das Zementwerk Deuna (um mal in der Region zu bleiben) wurde westdeutschen (Dykerhoff) oder auch westeuropäischen Konzernen (Minol zu elf) zugeschanzt. Kleine, feine, oft hoch spezialisierte Unternehmen sowie nahezu der gesamte Handel erhielten einen westdeutschen Eigentümer und oft auch einen westdeutschen Wasserkopf.

Der ganze große Rest wurde zerschlagen (wenn er wie die Kaliindustrie unmittelbare Konkurrenz darstellte) oder ohne Zugriffsmöglichkeit auf die großen Fördertöpfe seinem Schicksal überlassen. Die unglaubliche Vielzahl attraktiver ehemals volkseigener Immobilien (Erholungseinrichtungen z.B. in Binz oder Sellin, Krankenhäuser, Wälder, Ackerflächen, ganze Industriestandorte, Wohnimmobilien in den großen Städten wie Berlin, Dresden und Leipzig) wechselt in diesem Prozedere auch gleich den Besitzer, meist unauffällig realisiert über eilig eingerichtete oder auch bestehende bundesdeutsche "Verwaltungs- und Verwertungsgesellschaften" (u.Ä).

Deshalb wurde in meiner Wahrnehmung der von einem unsäglichen greisen Gruselkabinett geleitete östliche Teil Deutschlands 1990 nicht nur (aus sich selbst heraus! ) befreit, sondern im gleichen Atemzug leider auch okkupiert, enthauptet und ausgesaugt. Selbst in den Verwaltungen und Institutionen der öffentlichen Hand wurden die neuen Strukturen nach dem gleichen Muster aufgebaut, nahezu alle wichtigen Funktionen und Schnittstellen wurden mal abgesehen von einigen Alibimarionetten mit Akteuren aus den alten Bundesländern besetzt. Gestern Abend bei Dunja Hayali im ZDF wurde u.a. festgestellt, dass weniger als zwei Prozent der Führungspositionen in Deutschland von Ostdeutschen besetzt werden.

Herr de Meziere entblödete sich auf dieses Dilemma hin angesprochen nicht, zu verkünden, er erwarte von den Ostdeutschen, dass sie nun endlich die Ellenbogen breitmachen, um sich solche Positionen zu erobern. Noch Fragen?

War diese ganze Entwicklung seit 1990 wirklich alternativlos? Und was passierte in dieser Zeit mit den Menschen?

Eine ganze Generation wurde betrogen, Heerscharen von verantwortungsbewussten, fachlich hervorragend ausgebildeten Ingenieuren, Meister und Facharbeitern mussten in Westen ziehen, um halbwegs auskömmlich Geld zu verdienen. Die Familien wurden zerrissen. Die Folgegeneration musste zwangsläufig den gleichen Weg gehen und hat das spätestens nach dem Studium in der Regel auch getan.

Die Kinder dieser jungen Menschen sind dann meist schon in den verbrauchten Bundesländern geboren und haben sich dann zwangsläufig in diesem Lebensumfeld etabliert. Eine Rückkehr in die neuen Bundesländer war allenfalls für die erste dieser drei Generationen eine Option, und dann meist erst, wenn das Ruhestandsalter erreicht war. Im Ergebnis fehlten und fehlen in nahezu allen Regionen des Ostens drei Generationen leistungsfähiger Menschen, die aktiv die Wertschöpfungsprozesse realisieren und gestalten.

Der Niedergang ausgedehnter Landstriche war und ist vorprogrammiert, unter diesen Umständen leider tatsächlich "alternativlos". Die wenigen Alibileuchttürme wie Berlin, Dresden oder Leipzig können diese machtpolitisch inszenierte Misere nicht einmal ansatzweise ausgleichen. Und wer von Anfang an zu Hause blieb, egal ob aus Heimatverbundenheit, aus Verantwortungsgefühl gegenüber allen Generationen der eigenen Familie oder wegen mangelndem Selbstvertrauen landete früher oder später meist in der Endlosspirale von Weiterbildungsmaßnahmen und Arbeitslosigkeit, oft verbunden mit der Ausprägung von irreversiblen Depressionen infolge des zwangsläufig damit verbundenen sozialen Abstiegs.

Die Wahrnehmung dieser Tragödien war gering, die betroffenen Menschen zogen sich in der Regel heimlich still und leise aus der Öffentlichkeit zurück. Die Einführung und Ausweitung von sozialpolitischen Folterinstrumenten wie Hartz4 und Leiharbeit setzte der Herabwürdigung der betroffenen Menschen dann endgültig die Krone auf. Auch der Ruhestand, oft als rettendes Ufer angesehen, entpuppte sich für Millionen von Menschen infolge der stetigen Verschlechterung der entsprechenden gesetzlichen Regelungen zunehmend als Fallgrube, in der man nur mit Hilfe von entwürdigenden Billiglohnjobs als Zuverdienstmöglichkeit leben bzw. eher vegetieren kann.

Hat unser politisches Establishment diese Probleme auf dem Bildschirm? Wenn ich die Reden unserer politischen Elite zum Festakt am gestrigen Tag noch einmal Revue passieren lasse, muss ich sagen nein. Zwar formulierte der regierende Bürgermeister von Berlin, gleichzeitig auch Präsident des Bundesrates, durchaus eine (selbst-) kritische Betrachtung zum Verlauf der Wiedervereinigung in den letzten 28 Jahren und zum Stand der Wiedervereinigung heute.

Herr Schäuble dagegen, der ganz wesentliche Anteile an der Gestaltung der deutschen Einheit hat, fand nur am Anfang seiner Rede einige selbstkritische Worte. Der große Tenor lief darauf hinaus, dass die Wiedervereinigung (und damit auch die Art und Weise, wie sie politisch gestaltet wurde! ) uneingeschränkt als großer Erfolg verbucht werden kann, weil es Deutschland heute besser geht als je zuvor. Quasi Par Ordre Du Mufti gab er in seiner Rede den Menschen vor, dass sie gefälligst dankbar sein sollen für die großen Leistungen der Politik.

Das viele Millionen Menschen in den neuen Bundesländern nach der großen Euphorie in den frühen 90-iger Jahren aufgrund ihrer ganz persönlichen Lebenserfahrungen in den Jahren danach zunehmend das Vertrauen in die etablierte Politik verloren haben, kratzt ihn eigentlich kaum. Auch die aktuellen globalen Veränderungen (natürlich in erster Linie auf Wirtschaft und Handel projiziert, aber er nahm auch das Wort "Klimawandel" in den Mund! ) wurden von Schäuble als alternativlos dargestellt.

Scheinbar ist alles auf dem richtigen Weg. Und doch geht auf einmal die nackte Angst um in den Führungsgremien des politischen Adels, denn man hat in der ganzen Euphorie vergessen, die Wahlen abzuschaffen. Nachdem die CDU schon die Vorherrschaft im "Ländle" verloren hat, versetzen die Prognosen für die anstehenden Landtagswahlen im bajuwarischen Freistaat alle Hauptakteure in Schnappatmung. Das ist umso erstaunlicher, gelten doch gerade die beiden südlichsten Bundesländer als der Hort wirtschaftlicher Stärke und sollten so der breiten Masse ein sattes Auskommen ermöglichen.

Da ist im ganzen gelobten Land offensichtlich etwas sehr Grundsätzliches aus den Fugen geraten, wenn der Volkszorn immer weiter zunimmt und sich ebenso unverblümt in Wahlergebnissen niederschlägt. Eine wichtige Rolle spielt mit Sicherheit die Tatsache, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht. Dabei ist es eher unerheblich, ob dieses Bild nun auf den Südwesten, den Nordosten oder irgendeine andere deutsche Region projiziert wird, auch wenn das durchschnittliche Einkommensniveau insgesamt und im Einzelfall extrem unterschiedlich ausgeprägt ist.

Immer mehr Menschen fühlen sich ungerecht behandelt. Sie profitieren trotz fleißiger Arbeit und hohem persönlichen Engagement nicht mehr vom enormen Entwicklungstempo in Wissenschaft und Technik. Im Gegenteil, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Umfeld ist alles am Zerbröseln und das in Zeiten überbordender Einnahmen aus Steuern und Abgaben. Krankenhäuser und Schulen verfallen oder werden gleich geschlossen, über den Zustand der Verkehrsinfrastruktur will ich mich hier erst gar nicht auslassen.

Die Kommunen müssen mangels Finanzausstattung immer mehr kulturelle Einrichtungen schließen, abgeben oder zumindest in der Nutzung stark einschränken. Eine Ausnahme bilden hier nicht selten die überwiegend selbst genutzten Verwaltungsgebäude, da ist alles picobello, egal ob Rathaus oder Landratsamt, von den oberen Verwaltungshierarchien ganz zu schweigen. In diesen Palästen lässt es sich gut sitzen, gut gepampert mit Unkündbarkeit, üppigen Diäten und auskömmlichen Pensionen. Natürlich tut man dort alles dafür, diese paradiesischen Zustände zu erhalten, wahrscheinlich sind es in erster Linie genau diese Aktivitäten, die dort als "Arbeit" interpretiert werden!

Dass sich die Gesellschaft insgesamt gerade ziemlich zügig und mit großer Wahrscheinlichkeit auch irreversibel verändert, haben große Teile dieses elitären Kreises entweder noch gar nicht realisiert oder sie wollen es a la Vogel Strauß nicht wahr haben.
Doch erhebliche Teile des Volkes treibt es um. Viele haben große Bedenken, gehen auf die Straße und artikulieren sich. Dass sie dabei von politischen Irrläufern missbraucht werden können, die sich vor die Kameras drängen und ihre kruden Gedanken propagieren, zeigt nur den desolaten Zustand der "Ordnungshüter" und der zugrunde liegenden Rechtsprechung.

Die vielen braven, aber unzufriedenen Bürger fühlen sich verletzt und gleichzeitig in höchstem Maß bedroht, weil sie spüren, dass die verantwortlichen Politiker wissentlich und um des eigenen Vorteils willen viele Menschen um ihre Lebensleistung betrogen haben. Weil sie mittlerweile wissen, dass sie die leidvollen Folgen dieses Vertrauensbruches nun natürlich auch selber auslöffeln müssen. Weil sie wahrnehmen, dass ihren Kindern das neben Frieden und Gesundheit wichtigste Faustpfand, eine zeitgemäße Bildung und Ausbildung zunehmend vorenthalten wird. Weil spüren, dass ihre Kinder und Enkel mehr denn je mehrheitlich vor einer ungewissen Zukunft stehen.

Weil diese Kinder und Enkel zunehmend verunsichert sind, welchen Weg sie denn nun einschlagen können und sollten. Weil alle drei Generationen Angst haben vor den Auswirkungen der hemmungslosen Ausbeutung und Zerstörung unserer natürlichen und humanen Ressourcen. All diese Faktoren münden derzeit in einen neuen Mainstream, der die politischen Ränder der Gesellschaft in einer Art und Weise stärkt, die Angst macht. Angst auch deshalb, weil die politisch Mächtigen diese Entwicklung alle Warnungen in den Wind schlagend zwar selber herbeigeführt haben, derzeit aber nichts unternehmen, was die rasante Selbstverstärkung dieser Prozesse auch nur ansatzweise aufhalten könnte.

Ich bin schon wieder (wie bei einem meiner früheren Kommentare zum Thema) bei dem Bild von den Lemmingen, die sehenden Auges auf den Abgrund zurasen. Gestern habe ich jedenfalls nichts gehört, was auf eine sofortige, umfassende und nachhaltige, politisch initiierte Änderung der Rahmenbedingungen hinweist. Alles gut und weiter so ist die fröhliche Devise. Man feiert und draußen fallen die Bomben und dröhnen die Panzer. Noch nur bildlich gesprochen. Aber gegeben hat es das schon einmal.
Fönix, der vollständige Name ist der Redaktion bekannt
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Autor: red

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