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Treuhand-Protokolle über Bischofferode enthüllen:

Die Linke gaukelte Kumpeln Rettung vor

Sonntag, 29. September 2019, 08:51 Uhr
So spannend wie die Aufdeckung der Stasi-Akten ist jetzt ein Einblick in die Treuhand-Unterlagen. Was bisher über die Stilllegung des Kali-Bergbaus in Bischofferode beklagt wurde, stimmt nicht! Nicht die Treuhand, sondern zwingende Gründe führten zur Schließung. Manfred Neuber hat recherchiert...


Weder ein Hungerstreik von zwölf Kumpeln im Sommer 1993, noch ein Protestmarsch nach Berlin und ein Bittgang zum Papst vermochten das traurige Schicksal abzuwenden. Indem sie falsche Hoffnungen erweckte, versündigte sich die Linke (damals noch PDS) an den Bergleuten und ihren Familien. Bischofferode war nicht zu retten. Noch zu DDR-Zeiten drohte schon ein mögliches Aus.

Als der Kampf der Kumpel bis in die Weltpresse durchschlug, wurde verheimlicht, dass Bischofferode die unwirtschaftlichste Grube aller mitteldeutschen Kalischächte war. Zudem bestand nur hier ein bergtechnisches Risiko durch austretendes Gas. Im Jahre 1973 waren 10 000 Kubikmeter eines Gemisches von Kohlenwasser- und Stickstoff gemessen worden. Die Kumpel hatten unter Lebensgefahr für den Export der DDR geschuftet. Aus den Treuhand-Akten, die nach einer Sperrfrist von 25 Jahren kürzlich veröffentlicht wurden, geht hervor, dass die Förderkosten in Bischofferode bei 740 Mark pro Tonne lagen, während es im globalen Vergleich nur 134 Mark waren. So fuhren die Kumpel nach der Wende einen Jahresverlust von knapp 20 Millionen Mark in 1991 und sogar 26 Millionen Mark im folgenden Jahr ein. Das war auf Dauer nicht durchzuhalten.

Nach Kanada und der Sowjetunion war die DDR der drittgrößte Kali-Exporteur der Welt – mit absoluten Dumping-Preisen, um Devisen zu erwirtschaften, koste es was es wolle. Bereits vor der Wiedervereinigung war das volkseigene Kombinat Kali am 1. Juni 1990 in die Mitteldeutsche Kali AG umgewandelt worden. Die MdK fiel dann unter die Obhut der Treuhand, die eine Investmentbank (Goldmann Sachs) mit der Suche nach Investoren betraute. Obwohl weltweit 47 potenzielle Interessenten kontaktiert wurden, gab es nur Absagen. Auch die BASF in Ludwigshafen, Eigentümer der Kasseler Kali und Salz AG, winkte ab. So die Fakten. Trotzdem wurde kolportiert, M + S habe die Treuhand gedrängt, die Thüringer Schächte in ein Gemeinschaftsunternehmen einzubringen, um dann Bischofferode abzuwickeln.

Der Publizist Norbert F. Pötzl spricht von einem „Paradebeispiel für ungerechtfertigte Schuldzuweisung“. Als am 22. Dezember 1993 die letzte Schicht gefahren wurde, hatte die Kritik an der Treuhand schon wie Metastasen gestreut. Politiker der Linken klagten den „brutalen Turbo-Kapitalismus“ an. Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ wollte wissen, Bischofferode sei „ohne trefflichen Grund geschlossen worden“, und Jana Hensel (Autorin von „Achtung Zone“) monierte, „ein profitabler Standort Ost“ sei „zur Sanierung des Standortes West“ dicht gemacht worden. Eine der vielen Legenden der Nach-Wende-Zeit.

„Aus der Zeit, in der die Treuhand das Zepter führte“, stamme das heute noch unter Ostdeutschen „verbreitete Gefühl, sie würden wie Bürger zweiter Klasse behandelt“, befand Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringens. In dem ökonomischen Rückstand sieht Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Fraktion der Linken im Bundestag, den Grund für den politischen Frust im Osten. Die Linke und die AfD haben einen Untersuchungsausschuss zur Treuhand beantragt.

Mit dem Hinweis auf noch beträchtliche Salzvorkommen im Südharzer Revier hatten mit Bischofferode solidarische Politiker der Linken jedoch den Kumpeln Sand in die Augen gestreut, weil sie nicht rentabel abgebaut werden können. Außer dem finanziell unwirtschaftlichen Absatz im Westen brach auch der Verkauf in Osteuropa zu DM-Preisen weg. Kosten-Nutzen-Rechnungen hatten in der Planwirtschaft vorher keine Rolle gespielt.

Gegen alle ökonomische Vernunft kam es auf Betreiben der Industrie-Gewerkschaft Bergbau letztlich zu einer Fusion mit K + S. Um Überkapazitäten zu verringern, schlugen Vorstand und Aufsichtsrat der Treuhand die Schließung von je zwei Gruben im Westen und im Osten vor. Dabei wären 1744 im alten und 1884 Stellen im neuen Bundesgebiet weggefallen. Der Leitungsausschuss unabhängiger Experten musste jedoch im November 1991 feststellen, dass die Still-legung in Bischofferode „aus betriebswirtschaftlicher Sicht unumgänglich ist“.

„Auch wenn sich Bischofferode nicht, wie von linken Politikern erhofft oder von konservativen Kommentatoren befürchtet, zu einem sozialen Flächenbrand in Ostdeutschland ausweitete, war der medial intensiv begleitete Protest aus Sicht der Treuhand eine Katastrophe“, befand der Historiker Marcus Böick.

Ziemlich unbeachtet blieb, dass die Treuhand laut Fusionsvertrag 1,04 Milliarden DM für Investitionen, Reparaturen und Planverluste von 1993 bis 1997 in allen MdK-Betrieben zahlte. Einmalig für Ostdeutschland war auch in Bischofferode, dass die Kali-Kumpel von einer treuhandeigenen Gesellschaft zur Verwaltung und Verwertung von Bergwerkseigentum ohne Kündigungen übernommen und bei voller Lohnfortzahlung für zwei Jahre beschäftigt wurden. Von den zuletzt beschäftigten 690 Mitarbeitern nahmen 646 dieses Angebot an. Weitere 25 gingen in eine ABS-Gesellschaft, und 19 schieden mit Sozialplan aus.

Ausgerechnet die Stasi ist Kronzeuge für die Schwierigkeiten der Kaliindustrie im Kreis Nordhausen. Wegen Umstrukturierungen im August 1989 in Bleiche-rode fürchteten viele Kumpel um ihren Arbeitsplatz. Leitende Mitarbeiter und junge Leuten seien deshalb abgesprungen. In Parteiversammlungen wurde argumentiert, dass der Lohn aufgrund der schweren und gefährlichen Arbeit im Vergleich zu anderen Industrien zu niedrig sei, wie die MfS-Kreisstelle Nordhausen aktenkundig machte.

„Hier ist das Streikkomitee Ernst Thälmann“, meldete sich schon früher ein anonymer Anrufer im VEB Kalibetrieb Sollstedt. Davon sah sich die Betriebs-gewerkschaftsleitung bedroht und schaltete die Stasi zur Fahndung ein. Der KD Nordhausen war freilich die Stimmung unter den Kumpeln bekannt. In scharfen Diskussionen hatten sie sich über den Mangel an Obst und Gemüse empört und erklärt, „Beschwichtigungen (würden) nicht mehr akzeptiert“.

So wie der desolate Zustand der Kaliindustrie in Thüringen nach der Wende nicht unmittelbar erkannt wurde, so ließen sich auch Wirtschaftsexperten im Westen von der selbst erklärten „zehntgrößten Volkswirtschaft der Welt“ in der DDR täuschen. Bei genauerem Hinsehen blieb nur ein betretenes Entsetzen.
Manfred Neuber

Quellen: Bundesarchiv, Recherche-Plattform Invenio, Bestand 412, Protokolle Verwaltungs-rat, Sitzungen Vorstand und Leitungsausschuss, kursbuch.edition „Der Treuhand-Komplex“ (Legenden, Fakten, Emotionen) Norbert Pötzl, 22 €
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Autor: red

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