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Politisches Patt auf dem Thüringer Spielfeld

Dienstag, 29. Oktober 2019, 11:09 Uhr
Die Landtagswahl mag am Südharz recht deutlich ausgefallen sein, in der Gesamtschau bringt sie maximale Konfusion mit sich. Die Lösung der Frage nach dem „Wer mit wem?“ hat das Potential politische Paradigmenwechsel in Gang zu setzen, wie sie bis dato undenkbar gewesen wären…

Die Landtagswahlen haben Thüringen ein politisches Patt serviert (Foto: Angelo Glashagel) Die Landtagswahlen haben Thüringen ein politisches Patt serviert (Foto: Angelo Glashagel)

Zwei Tage ist die Thüringer Landtagswahl alt und das Gerangel um die Mehrheit im Erfurter Parlament hat schon Blüten getrieben, die man bis vor kurzem wohl nur als abstrus hätte bezeichnen können. Man stelle sich ein Fußballspiel vor, bei dem mehrere Mannschaften auf dem Feld stehen, alle auf das gleiche Tor spielen, aber keiner mit dem anderen kann. Mohring, Kapitän der CDU, ist zwar schwer angeschlagen, kommt aber trotzdem an den Ball und will das Ding nach vorne dreschen: Koalition mit der Linken: Un-denk-bar. Panik in Mohrings eigenen Reihen, der Landesvorstand grätscht rein und stoppt den Alleingang seines Spitzenkandidaten. Warum nicht ein Pass auf AfD und FDP? Damit würde man auch bis zum Tor kommen, ruft der Abgeordnete Heym. Das hatte man zwar vor dem Spiel ausgeschlossen, aber gleiches galt schließlich auch für eine Zusammenarbeit mit der Linken.

Mohring zögert, statt direkt zu spielen wird vorsichtig weiter gedribbelt, eine Koalition mit Links oder Rechts sei ausgeschlossen aber man sei zu „Gesprächen“ mit der Linken bereit, meint er nun. Dafür gibt es vom Berliner Spielfeldrand zögerliche Unterstützung.

Bodo Ramelow steht mit seiner Mannschaft derweil immerhin schon in der richtigen Spielfeldhälfte, ist aber ersatzgeschwächt. Grüne und SPD sind dem Totalausfall nur knapp entgangen, selbst zu dritt würde man es nicht mal bis in den Strafraum schaffen. Man werde erst einmal mit den beiden alten Partnern reden, dann laden man alle Parteien (außer der AfD) zu Gesprächen ein, ließ Ramelow verlauten. Er kann auf Zeit spielen. Die FDP hat es gerade so aufs Feld geschafft, könnte das Zünglein an der Waage sein, vermeidet bisher aber jeden Ballkontakt. Man werde mit der Linken nicht koalieren und eine linke Regierung auch nicht tolerieren. Die AfD ist zwar stark aufgelaufen, wird von den anderen aber nicht als Anspielstation wahrgenommen.

Was soll nun werden?, fragt sich da der neutrale Beobachter auf den Rängen. Eine Koalition mit der Linken wäre für die CDU politischer Selbstmord. Das Rumoren an der Basis, man möge doch bitte zu den konservativen Wurzeln der Partei zurückkehren, ist in den letzten Jahren nicht leiser geworden. Eine Zusammenarbeit mit der gegenüberliegenden Seite des politischen Farbspektrums würde zwar rein rechnerisch funktionieren, in der Endkonsequenz aber wohl dazu führen, dass man der AfD noch mehr ehemalige CDU-Wähler zutreibt.

In einer Zusammenarbeit mit der AfD wäre man nur der „Juniorpartner“, müsste wohl einen „blauen“ Ministerpräsidenten ins Amt hieven, der dann der Arithmetik nach Björn Höcke hieße. Dieses politische Erdbeben wäre mit der Richterskala kaum noch zu fassen. Hinzukommt, dass die letzten Jahre sowohl in Berlin wie auch in Thüringen gezeigt haben, was aus „Juniorpartnern“ wird. Um im Bild zu bleiben: die SPD kommt als kleiner Teil der „GroKo“ kaum noch von der Ersatzbank, sowohl im Freistaat wie bundesweit. Die Ablehnung von Seiten der FDP kommt noch hinzu. Also auch hier: keine attraktive Option.

Die AfD muss sich fragen, ob sie überhaupt bereit ist, sich mit den Realitäten des Regierungsgeschäftes auseinanderzusetzen. In der Opposition ist die „Alternative“ stark geworden, hier kann man viel fordern ohne liefern zu müssen und widersprüchliche Aussagen fallen weniger ins Gewicht. Geht man den Schritt in Richtung greifbarer politischer Verantwortung, muss man damit rechnen sich vor dem Wähler selber zu entzaubern. Wer der AfD in den letzten Wochen aufmerksam zugehört hat, dem sollte nicht entgangen sein, dass es innerhalb der Partei zum Teil erhebliche Widersprüche gibt, was Wünsche, Ziele und Methoden zum Erreichen dieser Ziele angeht. Widersprüche, an denen die Partei zum dritten Mal in ihrer Geschichte zerschellen könnte, wenn man sich mit realpolitischen Zwängen ernsthaft auseinandersetzen muss. Bisher waren es immer die Rechtsaußleger der Partei, die von den Spaltungen profitieren konnten. Die aktuelle Stärke des völkischen „Flügels“ unter Höcke und Kalbitz, der deutlich mehr Einfluss geltend machen kann als die „extremen“ Flügel in anderen Parteien, sollte den gemäßigteren Teilen der AfD zu denken geben. Bricht die Partei noch einmal auseinander und lässt den Flügel als dominierende Macht innerhalb der AfD zurück, werden die Sorgen derer, die hinter der blauen Alternative einen braunen Wiedergänger vermuten nur noch mehr Nahrung erhalten.

Für Bodo Ramelows Linke ist die Sache nicht viel einfacher als für die CDU, einem Pakt mit den Christdemokraten stehen grundlegende Differenzen im Weg. Auch hier gibt es reichlich Kommentare vom Spielfeldrand. Altlinke wie Gregor Gysi und Oskar Lafontaine etwa sehen bei den drängenden Landesfragen wie Lehrermangel und Kindergärten keine „unüberwindbaren Hürden“. Die entscheidenden Unterschiede gebe es vor allem auf Bundesebene. Letztlich würde man sich dennoch dem gleichen Problem gegenübersehen, wie die CDU: der Auflösung der bisherigen politischen Gewissheiten und Grenzziehungen, die manchem Wähler und Parteigängern nicht schmecken dürften und die den Einheitsbrei mit dem eigenen Abgang quittieren könnten.

Auf der anderen Seite ist die Situation für Ramelow nicht gänzlich unkomfortabel. Mit der Verabschiedung des Doppelhaushaltes kann das politische Minenfeld der Finanzpolitik zumindest für das kommende Jahr vermieden werden. Das Land wäre in den nächsten Monaten nicht unregierbar. Danach müsste es Neuwahlen geben.

Eine denkbare Lösung wäre eine Minderheitsregierung. Im Landtag sind die Verfahrensweisen in grundlegenden Aufgabenstellungen nicht anders als in einem Stadtrat oder Kreistag. Der Großteil der Arbeit geschieht in den Ausschüssen, bei Sachzwang und allgemeinverträglichen Themen heben alle Fraktionen die Hand, durch die Bank weg, von links nach rechts. Bei diffizileren Fragestellungen wäre eine Minderheitsregierung darauf angewiesen, sich ihre Mehrheiten anderweitig zu organisieren und Kompromisse einzugehen. Für Thüringen wäre es nach fünf Jahren Rot-Rot-Grün das zweite politische Experiment. Will man nun konstatieren, dass das Land nach Experiment A nicht, wie von manchen prophezeit, untergegangen ist, kann man mit einem gewissen Optimismus auf ein Experiment B blicken. Der Abbildung des demokratischen Willens würde es gut tun. Der Erfurter Landtag wäre gezwungen, den gesellschaftlichen Realitäten, die das Wahlergebnis aufgezeigt hat, in einer Weise Rechnung zu tragen, wie es selbst unter dem Dreierbündnis aus Linke, SPD und Grünen nicht der Fall war.

Man müsste gemeinsam auf das eine Tor spielen, das Runde ins Eckige bringen, damit für Thüringen am Ende drei Punkte auf dem Zettel stehen. Ob das nur für den Klassenerhalt oder gar für den Aufstieg reichen würde, ob man überhaupt zusammen „kann“, das müsste die Spielzeit zeigen und die dauert, anders als im Fußball, länger als 90 Minuten.
Angelo Glashagel
Autor: red

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