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"Horch und Guck" in der digitalen Welt

Vorsicht vor den Nachbarn

Dienstag, 05. November 2019, 09:10 Uhr
Kann es sein, dass Sie der bundesrepublikanischen Geheimpolizei, also dem Verfassungsschutz als Rechtsextremist bekannt sind? Sie wissen das nicht? Vielleicht erkundigen Sie sich mal bei ihren Nachbarn…


Denn die könnten Sie schon lange im Visier haben. Vielleicht haben Sie vor Wochen einen blöden Witz erzählt? Vielleicht haben Sie sich nicht eindeutig von den Wahlerfolgen der AfD in den ostdeutschen Bundesländern distanziert? Vielleicht besitzen Sie aber auch nur einen deutschen Schäferhund? Verdächtig sind Sie damit allemal, vielleicht auch bei Ihren Nachbarn, mit denen Sie noch vor Wochen ein gemütliches Feierabendbier getrunken haben, der aber spätestes seine Einstellung zu Ihnen nach dem Kauf Ihres neuen Autos geändert hat.

Der oder die Nachbarn, Ihre Arbeitskollegen oder Sportfreunde (beides ohne Sternchen) im Verein können Sie nicht mehr leiden, dann haben Sie die Möglichkeit, beim Bundesamt für Verfassungsschutz anzurufen, denn diese Behörde hat jetzt ein Hinweistelefon „Rechtsextremismus/-terrorismus, Reichbürger und Selbstverwalter“ geschaltet. „RechtsEX“ nennt sich die Hotline und ermöglicht allen Bürgerinnen und Bürgern dieser Republik, verdächtige Personen anonym zu melden. Wörtlich ist dort zu lesen:

„Unterstützen Sie uns und nehmen Sie vertraulich Kontakt zu uns auf, wenn
  • Ihnen Planungen von Gewaltakten und Terroranschlägen bekannt sind,
  • Sie Personen kennen, die sich an solchen Planungen beteiligen,
  • in Ihrer Umgebung für Terror und Gewalt geworben wird,
  • Sie beobachten, dass sich Personen aus Ihrem Umfeld diesbezüglich radikalisieren.
Fast lächerlich mutet dann noch der Satz an, dass dieses „Werkzeug“ nicht zur Denunzierung missbraucht werden soll. Was bitte aber öffnet der Denunziation mehr Tür und/oder Tor, als das anonyme Verpetzen von Menschen, die man kennt oder die einfach nur nebenan wohnen? Da werden also Listen mit Namen von Menschen angelegt, die sich nach Meinung von ermittlungstechnischen Laien verdächtig machen. Und wo jedermann anonym seinen Verdacht mitteilen kann. Was passiert mit den Listen? Was, wenn sich nach einer intensiven Prüfung herausstellt, dass der Verdächtige einfach nur ein Freund des deutschen Schäferhundes ist und schon seine Eltern einen besaßen? Wird der Vorgang dann gelöscht.

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der schon einmal denunziert und der Denunziant belobigt wurde. Ich wollte das nach 1989 eigentlich nicht mehr erleben. Doch es kam und es kommt scheinbar anders. Der Unterschied ist nur das technische Verfahren: Damals wurde Karteikarten angelegt, heute sind es Dateien, die mit anderen blitzschnell verknüpft werden können.

Spätestens seit bekannt wurde, dass es in Berliner Kindergärten eine Handlungsanleitung zum Erkennen völkischer Familien gibt, ist klar, was hier und heute abzugehen scheint. Und wenn wir schon einmal bei Vernetzung sind: Im Stiftungsrat dieser herausgebenden Stiftung sitzt ein Herr Stephan Kramer und der ist Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes. Aber das wirklich nur nebenbei.
Peter-Stefan Greiner
Autor: red

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